Ich habe mich immer für Politik interessiert, ich war bei den Leipziger und Dresdener Montagsdemos von 1989 dabei, ich habe, glaube ich, ein einziges Mal seit 1990 nicht gewählt. Nun gab es verhältnismäßig ruhige Jahre, Jahre, in denen man glauben, oder hoffen, konnte, das „Ende der Geschichte“ sei gekommen. Die Demokratie sei unaufhaltsam, geradezu als historische Gesetzmäßigkeit, und irgendwann würden Friede, Freude und Eierkuchen auf diesem schönen Planeten herrschen. Gerade die 90er Jahre, vielleicht bis in 2000er, herrschte die Stimmung vor „Jeder kümmert sich am besten mal um sich selbst, dann ist für alle gesorgt, und ohnehin kann es nur besser werden.“ Seit einiger Zeit, besonders aber seit dem Erstarken der „starken Männer“, seit Putin und Trump und solche Gestalten mehr ins Rampenlicht getreten, seitdem sich Terror, Kriege und Krisen häufen, ist diese Vorstellung nicht mehr haltbar. Sie steht auch in völligem Widerspruch zu allem, was Yoga und Buddhismus lehren. Da geht es zwar viel um inneren Rückzug, um Meditation, darum, den Frieden und die Wahrheit in sich selbst zu finden. Aber das schließt Anteilnahme, Verstehen und Handeln im Äußeren nicht aus. Gandhi sah sich als Yogi, der Buddha hat durch sein Wirken die Welt verändert, viele große Weise haben nicht nur Zeit auf dem Meditationskissen verbracht, sondern die äußere Wirklichkeit bewusst wahrgenommen. Und oft zum positiven verändert.
Jeder kann in seinem/ihren Umfeld sich bemühen, eine Quelle der Liebe, der Wahrheit, des Verstehens zu sein. Zuerst sollte man dazu vielleicht die Welt wirklich wahrnehmen, sich von klugen Leuten erklären lassen. Ich habe viel von der Weisheit des Buddha, der Yogis, der großen Meister aller Traditionen profitiert. Aber gerade in den letzten Jahren habe ich ganz viel von klugen Intellektuellen gelernt – die meisten davon Historiker. Ich möchte hiermit ein paar von ihnen vorstellen.
Timothy Snyder
Timothy Snyder ist ein amerikanischer Professor der Yale University und „öffentlicher Intellektueller“. Für mich ein großer Weiser. Wahrscheinlich weltweit der Experte für Ost- und Mitteleuropa, die europäische Geschichte. Spricht 11 Sprachen, darunter mehrere slawische, aber auch deutsch und jiddisch (!). Hat ein paar Bücher geschrieben, die weltweit Bewunderung erregt haben, und die das intellektuelle Rüstzeug streitbarer Demokraten geworden sind. Am bekanntesten vielleicht sein kleiner Buch „Über Tyrannei“ (wird bei meinen Buchempfehlungen näher vorgestellt). Seine Sorge vor dem Erstarken der Extremisten und dem Verfall der Demokratie, den er in verschiedenen Epochen der Geschichte, und damals mit dem Amtsantritt Donald Trumps erleben mußte, führte zu diesem epochalen Buch. Trotz aller Ernsthaftigkeit, und Beschäftigungen mit solch schweren Themen wie Völkermorden und Kriegen hat er sich eine gewisse lausbübische Jungenhaftigkeit bewahrt. Wenn ich eine Frau wäre, würde ich wahrscheinlich dahinschmelzen vor seinem Charisma, seiner Intelligenz und seinem Witz.
Torsten Heinrich
Torsten Heinrich hat Geschichte studiert, speziell Militärgeschichte. Nun war ich immer friedliebend, ziemlich pazifistisch, und die gräßlichste Zeit meines Lebens habe ich bei der NVA verbracht. Das ändert aber nichts daran, dass ich einsehen musste, dass leider, leider, der Weltfrieden nicht in greifbarer Nähe ist, dass „der Beste nicht im Frieden leben kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“ – und Torsten Heinrich erklärt auf seinen Youtube-Kanälen wunderbar die internationale Politik, die aktuellen Situation oder mögliche kommende Szenarien, historische Parallelen, gewürzt mit Humor und der Liebe zu seinen Katzen.
Eine interessante Beobachtung, die ich schon bei Meistern der Kampfkünste machen konnte, ist, dass gerade sie die friedlichsten unter der Sonne sind. Und offenbar ebenso die Leute, die sich beruflich mit Militär und Geschichte beschäftigen. Zum Glück sind hier die militaristischen, kriegslüsternen, heroischen Zeiten vorbei, und gerade solche Leute, die wissen, was Kampf und Krieg ist, setzen sich am entschiedensten für Demokratie, den Frieden und eine regelbasierte Ordnung ein.
Bemerkenswert finde ich auch seine Aufrichtigkeit; er war ein Jahr lang Mitglied der AFD, auf dem Weg ins Parlament, und sozusagen das „liberale Aushängeschild“ der Partei. Er war sowieso hauptsächlich wegen seiner Kritik am Euro und seiner „libertären“ Ansichten in diese Partei gegangen, und fühlte sich unter den „Völkischen“ recht fremd. Als dann die Invasion der Ukraine begann (2014 – nicht 2022; da tobte schon acht Jahre lang Krieg), und die AfD die Kriegsverbrecher unterstützte, ist er postwendend ausgetreten. Als politischer Mensch steht er auf der anderen Seite des Spektrums; aber für sein Erklären, sein Mitgefühl mit den Opfern, seine Ehrlichkeit und seine umfassendes Wissen genießt er meine besondere Hochachtung.
Carlo Masala
Carlo Masala ist ein deutscher Professor italienischer Herkunft an der Universität der Bundeswehr. Ihn kenne ich weitgehend aus seinen Vorträgen, Gesprächen oder Interviews, ab und zu aus Beiträgen aus sozialen Medien. Streitbarer Fachmann für internationale Politik.
Ilko-Sascha Kowalczuk
Und hier wieder ein deutscher Historiker, dessen Schwerpunkt allerdings die DDR-Diktatur ist. Sozusagen der „Anti-Oschmann“. Hält uns Ossis den Spiegel vor, und es ist nicht immer schön, was es da zu sehen gibt. Erlebt deswegen viele Anfeindungen. Mutig, unbestechlich, wahrheitsliebend, wie andere Bürgerrechtler auch. „Freiheitsschock“ als vielleicht wichtigstes Buch.
Sönke Neitzel
Mit ihm nenne ich wieder einen deutschen Professor, den ich nur immer mal in Interviews oder Gesprächen gehört habe. Die Zeit des Menschen ist begrenzt, auch meine, sonst könnte man sicherlich viel mehr Gesprächen folgen, Bücher lesen. Auch er ein „public intellectual“, einer, der sich einmischt, der aber auch gefragt wird von Politikern, Filmemachern, Journalisten.
Tobias Huch
Tobias Huch ist nicht nur Journalist, sondern auch mutig und engagiert. War viele Male im Nahen Osten, hat unter eigener Lebensgefahr Hunderte Menschenleben vor dem Terror des IS gerettet. Hat ein hoch gelobtes Buch über die Kurden geschrieben; setzt sich sehr verfolgte Minderheiten, für Israel und die Kurden ein. Mitglied der FDP; ein Liberaler, wie er sein sollte.
Timothy Garton Ash
ist ein britischer Historiker, Publizist und Schriftsteller. Spricht fließend deutsch. Lebte in Ostberlin, wurde von der Stasi beschattet, führte später Gespräche mit den Spitzeln, die ihn beschatteten. Auch er ein „public intellectual“, der sich einmischt, für Freiheit und Demokratie einsetzt. Als Engländer ein sehr „europäisch“ geprägter Mensch.
Anne Applebaum
Amerikanerin, mit dem polnischen Außenminister verheiratet. Ausgezeichnet mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Mehrfach ausgezeichnete Bücher. Kraftvolle Kritikerin von Donald Trump.
Joachim Fernau
Hier mal jemand ganz anders. Zum einen ist der bereits tot, zum zweiten so ganz anders als die anderen hier genannten.
Joachim Fernau – war noch nicht mal Historiker, wie ich immer dachte. Er war Journalist, Kriegsberichterstatter der Waffen-SS (!), Bestsellerautor und Kunstsammler. Aber er hat sehr viele historische Bücher geschrieben. Und viele davon habe ich zu einer Zeit gelesen, als es die bei uns, in der DDR, eigentlich nicht gab. Eine alte Tante, selber sehr bibliophil, aus Wolfsburg hat uns paketeweise Bücher geschickt oder mitgebracht. Vielleicht ist das eine oder andere mal vom Zoll weggenommen worden, aber vieles landete bei uns…der Duft der großen weiten Welt…eine neue, freie Luft atmen…
Herfried Münkler
U.M.